Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetruges in der Zahnarztpraxis nach anonymer Strafanzeige ein

Der Vorwurf des Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen kommt in diversen Erscheinungsformen vor. Niedergelassene Ärzte und Zahnärzte werden oft mit dem Vorwurf konfrontiert, Leistungen falsch abgerechnet oder Leistungen, die nicht erbracht wurden, sogenannte Luftleistungen, abgerechnet zu haben. In diesen Fällen ist sehr schnelles Verteidigungshandeln erforderlich, um den Reputationsverlust  der betroffenen Ärzte/Zahnärzte so gering wie möglich zu halten. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Saarbrücken wegen des Vorwurfes des Abrechnungsbetruges wurde nach unserer vorzeitigen Intervention eingestellt.

Durchsuchungen aufgrund anonymer Strafanzeigen

Es kommt leider sehr häufig vor, dass eine Strafanzeige wegen Abrechnungsbetruges gegen Ärzte und Zahnärzte anonym erfolgt. Im Fall einer Strafanzeige wegen Abrechnungsbetruges wird die Staatsanwaltschaft in Regel den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragen, um die Abrechnungsunterlagen sicherstellen bzw. beschlagnahmen zu können. Dies ist eine übliche strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme, um den Vorwurf in der anonymen Anzeige überprüfen zu können. Es stellt sich daher die Frage, ob eine anonyme Strafanzeige ausreicht, um den schwerwiegenden Eingriff einer Durchsuchung zu rechtfertigen. Die Rechtsprechung macht die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung davon abhängig, ob in der Anzeige belastbare Tatsachen vorgetragen werden, die über bloße Anschuldigungen hinaus gehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wird grundsätzlich gefordert, dass ein Anfangsverdacht aufgrund einer anonymen Anzeige nur angenommen werden kann, wenn das Vorgetragene von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist.

Darüber hinaus sind Ärzte Berufsgeheimnisträger, die zum Schutz des Patientenverhältnisses gegenüber Dritten zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Dieses Berufsgeheimnis wird durch Durchsuchungsmaßnahmen, die mit dem Ziel der Auswertung von Abrechnungsunterlagen erfolgen, tangiert. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2008 gefordert, dass Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern, also bei Ärzten, Zahnärzten, Therapeuten, Rechtsanwälten, Steuerberatern usw. einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordern (BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 21. 1. 2008 – 2 BvR 1219/07).

Anonyme Strafanzeige durch Patienten oder Personal

Anonyme Strafanzeigen gegen Ärzte wegen Abrechnungsbetruges erfolgen in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden weit überwiegend aus zwei Gruppen, nämlich durch Patienten oder Angestellten der Praxis. Anzeigen durch Patienten gehen meistens auf eigenen negativen Erfahrungen mit dem Arzt / der Ärztin zurück und haben eine Vorgeschichte mit Reklamationen, Bitte um Rechnungskorrektur usw. In solchen Fallkonstellationen, in welchen also der in der anonymen Anzeige vorgebrachte Sachverhalt, sich lediglich auf den Vorwurf des Abrechnungsbetruges in einem Arzt-Patienten-Verhältnis reduziert, ist eine Durchsuchung regelmäßig nicht verhältnismäßig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in dem o. g. Beschluss aus 2008 entschieden.

Brisanter aus der Sicht des Arztes/der Ärztin sind anonyme Strafanzeigen von Personen, die Kenntnis über die Arbeitsabläufe in der Arztpraxis, Arbeitsweise der Ärzte, also über Insider-Wissen verfügen. Das sind häufig Angestellte, ehemalige Angestellte, Ehepartner/Lebensgefährten, Konkurrenten usw., die sich mit dem beschuldigten Arzt in Streit befinden. Diese Personen erfüllen regelmäßig ohne große Probleme die oben erwähnte Anforderung der Strafgerichte an Informationen von „beträchtlicher Qualität“, so dass im Ergebnis auf diese Informationen ein Durchsuchungsbeschluss gestützt werden kann.

Prüfungsverfahren bei anonymer Strafanzeige

Sobald eine anonyme Strafanzeige gegenüber den Ermittlungsbehörden wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges erhoben wird, wird das dort Behauptete auf Schlüssigkeit überprüft. Dazu bedienen sich die Strafverfolgungsbehörden der Mithilfe der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswegen.  Dabei handelt es sich um Spezialeinrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigung der Bundesländer. Diese überprüfen den behaupteten Vorwurf anhand der ihnen vorliegenden Abrechnungsunterlagen. Nicht selten kommt es vor, dass die anonyme Anzeige auch direkt bei der Kassenärztlichen Vereinigung eingereicht wird und dort dann die Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen die Prüfung aufnimmt. Kommt diese Stelle zum Ergebnis, dass die Vorwürfe plausibel sind und bejaht sie eine Art Anfangsverdacht, ist die Kassenärztliche Vereinigung gemäß § 81a SGB V verpflichtet, den Sachverhalt an die Staatsanwaltschaft zur Aufnahme oder Fortführung weiterer Ermittlungen abzugeben. Die Kassenärztliche Vereinigung hat keine weitergehende Ermittlungsbefugnis. Die Staatsanwaltschaft wird sodann regelmäßig beim zuständigen Ermittlungsgericht den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragen. Dieser wird, wenn die Anzeige die zuvor dargestellten Anforderungen erfüllt, erlassen werden, so dass wenige Tage später die Durchsuchung der Artpraxis erfolgen wird.

Frühzeitige Beauftragung eines Strafverteidigers

Die betroffenen Mediziner sollten sodann schnellstmöglich einen Fachanwalt für Strafrecht, welcher ebenfalls über mindestens Grundkenntnisse im Medizinrecht verfügt, mit der Strafverteidigung beauftragen. Dieses Recht steht ihnen selbstverständlich auch im Fall einer bevorstehenden oder gerade stattfindenden Durchsuchung zu. Weitere Verhaltenshinweise im Fall einer Durchsuchung finden Sie hier.

Die Beamten werden während der Dursuchung der Arztpraxis versuchen, weitergehende Informationen durch Befragung des Praxispersonals zu erlangen. Die Angestellten haben das Recht, sich bei dieser polizeilichen Befragung durch einen Rechtsanwalt als  Zeugenbeistand beraten zu lassen. Da die Angestellten nur Zeugen und regelmäßig nicht Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens sind, steht ihnen kein Aussageverweigerungsrecht zu. Es kann aber ein Auskunftsverweigerungsrecht greifen. Praxisangestellte können daher den Adhoc-Befragungen während der Durchsuchung entgehen, indem sie auf ihr Recht, einen Zeugenbeistand zu beauftragen, bestehen. In dem Fall wird den Ermittlungsbeamten in der Regel nichts anderes übrigbleiben, als die Befragung vor Ort zu unterlassen und gegebenenfalls die Angestellte zu einer formalen Zeugenvernehmung ins Kommissariat zu laden.

Der Fall der Staatsanwaltschaft Saarbrücken

Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Saarbrücken wurden wir von den Praxisinhabern während der Durchsuchungsmaßnahme beauftragt. Auch hier war der Vorwurf des Abrechnungsbetruges im Rahmen einer anonymen Strafanzeige erhoben worden. Aufgrund des Detailreichtums in der Anzeige stand es für unsere Mandanten fest, dass der Verfasser der Anzeige aus dem Kreis des aktuellen oder ehemaligen Personals stammen musste. Zu dem Zeitpunkt unserer Beauftragung waren bereits im Rahmen der Durchsuchung umfangreiche Befragungen der Praxisangestellten erfolgt. Die Beamten beschlagnahmten zahlreiche Behandlungsunterlagen, um den Vorwurf des Abrechnungsbetruges überprüfen zu können. Unser Mandant verweigerte auf unser Anraten die Aussage.

Die Ermittlungsbeamten werteten im Nachgang die Behandlungsunterlagen aus. In Verfahren, in denen eine große Anzahl an Abrechnungsmanipulationen im Raum steht, ist es üblich, dass aus Gründen der Verfahrensökonomie zunächst nur eine überschaubare Anzahl an Patientenakten stichprobenartig ausgewertet wird. Wir drängten darauf, möglichst frühzeitig und zwar vor Auswertung der  vollständigen Patientenunterlagen Akteneinsicht zu bekommen. Denn wir hielten es für möglich, dass eine frühzeitige Erörterung des Sachverhalts und des zwischenzeitlichen Ermittlungsergebnisses mit dem zuständigen Staatsanwalt eine frühzeitige Einstellung des Ermittlungsverfahrens ermöglichen würde.

Nach Akteneinsicht stellten wir zunächst fest, dass die stichprobenartige Auswertung der Patientenunterlagen nicht zum Nachweis betrügerischen Handelns geführt hatte. Es gab vereinzelte Unstimmigkeiten, die sich aber auch anders, als durch Betrugshandlungen erklären ließen. Dennoch wollte der zuständige Ermittlungsführer das komplette sichergestellte Material weiter auswerten. Die Akteneinsicht gab uns außerdem die Möglichkeit, das Ergebnis der Befragungen der Angestellten während der Durchsuchung zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen. Daraus ergab sich für uns eine außergewöhnliche Besonderheit. Alle Angestellten erklärten, dass sie keine Kenntnis über Abrechnungsmanipulationen ihres Chefs hätten. Unter den Angestellten würde zwar regelmäßig darüber geredet, dass der Chef Leistungen abrechnen würde, die er nicht erbracht hätte, aber aus eigener Anschauung bestätige keine Angestellte dies.

Die Suche nach einer alternativen Sachverhaltshypothese

Diese Aussagen waren in ihrer Grundtendenz aus unserer Sicht so auffällig, dass wir es für eine naheliegende Möglichkeit erachteten, dass die anzeigende Person aus dem Kreis der Angestellten stammte und sie auch innerhalb des Kollegenkreises für das unwahre Gerücht, dass der Chef falsch abrechne, verantwortlich war. Ist eine unwahre Behauptung in der Welt, hält sich diese und wird durch jedes Gespräch erneuert, ohne dass nachvollziehbar wäre, von wem das Gerücht erstmalig behauptet wurde. Die objektiven Fakten zum Zeitpunkt unserer Akteneinsicht belegten die Vorwürfe nicht ansatzweise, so dass für einen Fortgang des Ermittlungsverfahrens und die Auswertung weiterer Patientenunterlagen keine Rechtfertigung mehr bestand. Wir legten also die Sachverhaltsalternative zugrunde, dass die anonyme Anzeige aus dem Kreis der Angestellten stammte, und diese Person auch für die unwahre Behauptung im Kollegenkreis verantwortlich war. Den Vorwürfen in der Anzeige standen die Aussagen der befragten Angestellten während der Durchsuchung und die stichprobenartige Auswertung Patientenunterlagen gegenüber.

Der Durchsuchungsbeschluss war aufgrund der detaillierten Angaben in der anonymen Strafanzeige erlassen worden. Nach unserer Auffassung waren diese sehr detaillierten Ermittlungsergebnisse nichts wert, da nach dem bisherigen Ermittlungsstand davon auszugehen war, dass sie bewusst unwahr behauptet wurde. Dies würde dann der Durchsuchung nachträglich die Legitimation entziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses ist zwar der Zeitpunkt seines Erlasses. Gleichwohl wäre es mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens schwer vereinbar, die Beschlagnahme und Auswertung von Patientenunterlagen aufrechtzuhalten, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Behauptungen in der Strafanzeige gelogen waren. Wir brachten diese Argumentation zu Papier und reichten entsprechende Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft ein, mit der Anregung, das Verfahren einzustellen. Zum Glück für unseren Mandanten, war der zuständige Staatsanwalt ein erfahrener Ermittler, der dem Anspruch auf rechtliches Gehör des Beschuldigten eine große Bedeutung einräumte und im Ergebnis sich unserer Auffassung anschloss. Der Staatsanwalt sah nach unserer Stellungnahme keine Legitimation für einen Fortgang des Verfahrens. Eine weitere Auswertung der Patienten- und Abrechnungsunterlagen wäre eine unzulässige Ausforschung. Das Verfahren wurde daher eingestellt. So konnte durch zügiges Verhalten weiterer Reputationsverlust für unseren Mandanten und seiner Praxis verhindert werden. Wer hinter der anonymen Anzeige stand, wurde leider bislang nicht aufgeklärt.