Die aktuelle Rechtsfrage:
Macht sich ein niedergelassener Vertragsarzt durch das bislang gängige Pharmamarketing der Bestechlichkeit strafbar?
Die geschichtliche Entwicklung:
Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die Strafverfolgungsbehörden verstärkt den Focus auf Maßnahmen des sog. Pharmamarketings legen.
Die Bemühungen der Staatsanwaltschaften die teilweise in der Praxis gängigen Methoden wie Einladungen zu Ärztereisen, Rückvergütungen oder Sponsoring von Praxisausstattungen, Entlohnungen von sog. „Anwendungsbeobachtungen“ oder sonstige absatzfördernden Absprachen zwischen Vertragsärzten und der Pharmaindustrie von Gerichten sanktionieren zu lassen, scheiterten in der Vergangenheit jedoch an der Rechtsauslegung der einschlägigen Normen des Strafgesetzbuches (StGB).
Die infrage kommenden Tatbestände der Vorteilsannahme (§§ 331 ff StGB) und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) wurden von den Gerichten als nicht verwirklicht angesehen, da der Vertragsarzt weder Amtsträger im Sinne des § 331 StGB noch Beauftragter im Sinne des § 299 StGB sei.
Die aktuelle, sich ändernde Rechtsprechung:
Diese Rechtsprechung ist jedoch spätestens seit dem Jahr 2010 im Umbruch.
Entgegen der bisherigen Rechtsauffassung nahmen das Amtsgericht Ulm (Urteil v. 26.10.2010) und das Landgericht Hamburg (Urteil v. 09.12.2010) erstmals an, dass ein Vertragsarzt bei der Verordnung von Arznei-/ Hilfsmitteln als Beauftragter der Krankenkassen handelt und somit die Strafbarkeit gemäß § 299 StGB erfüllt sei.
Das Landgericht Hamburg verurteilte einen Arzt, der von einem Pharmahersteller umsatzabhängige Prämien für die Verordnung von Medikamenten erhalten haben soll. Über dieses Urteil hatte nun der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes im Rahmen der Revision zu entscheiden. Mit Beschluss vom 21.07.2011 hat dieser die Auffassung des Landgerichts Hamburg bestätigt und die Frage zur rechtsverbindlichen Entscheidung dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt.
Bereits am 05.05.2011 hatte der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in einem weiteren Verfahren ebenfalls eine Vorlage an den Großen Strafsenat eingereicht, zur Klärung der Frage, ob sich ein niedergelassener Vertragsarzt der Bestechlichkeit strafbar machen kann.
Über beide Vorlagen hat der Große Strafsenat nun zu entscheiden. Mit einer Entscheidung kann bis Ende des Jahres gerechnet werden.
Es ist davon auszugehen, dass der Große Strafsenat sich den Auffassungen der vorlegenden Senate anschließen und die Strafbarkeit bejahen wird.
Die Bedeutung für die Praxis und die weiteren Aussichten:
Wird die Entscheidung so ausfallen wie erwartet, muss dies als Paradigmenwechsel im Arztstrafrecht bezeichnet werden, welche erhebliche Auswirkung auf die Praxis haben wird.
So führt der 3. Strafsenat in seinem Beschluss vom 05.05.2011 selbst aus:
„Die Beantwortung der Frage, ob ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt bei Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben, hier konkret bei der Verordnung eines Hilfsmittels als Amtsträger handelt, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärt und kann sich in einer Vielzahl von Verfahren erneut stellen. Ihre Beantwortung wirkt deshalb richtungsweisend für die Rechtsanwendung im Bereich der strafrechtlichen Verfolgung des sog. Pharmamarketing. Dabei ist mit Blick auf die erheblichen Auswirkungen eine möglichst einheitliche, sich an entsprechenden Vorgaben des Großen Senats für Strafsachen orientierende Handhabung der Praxis geboten.“
Die Entscheidung wird selbstverständlich nicht per se die Absprache zwischen Pharmaindustrie und Vertragsärzten sanktionieren. Nach wie vor muss der wissenschaftliche Austausch zwischen den Ärzten und der Industrie möglich sei, um Produkte weiter zu entwickeln.
Allerdings wird noch sorgfältiger im Einzelfall anhand der einschlägigen Verhaltensrichtlinien und -kodizes zu prüfen sein, ob ein strafrechtliches Risiko besteht.
Grundsätzlich steigt das Risiko für Ärzte und Pharmaunternehmen erheblich, in den Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten. Die Staatsanwaltschaft wird häufiger einen sog. Anfangsverdacht bejahen und ein Ermittlungsverfahren einleiten. Ob tatsächlich strafbares Verhalten vorliegt, bleibt aber immer einer Prüfung des konkreten Falls vorbehalten.